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Remixer (1) David Wessel: „Der größte Generationenkonflikt seit der 68er-Bewegung“

David Wessel a.k.a. Ben Stilller

David Wessel a.k.a. Ben Stilller

In der Serie „Remixer/in“ erzählen Menschen über ihre Erfahrungen und Einstellungen zum Thema Remix und Remixkultur. Den Auftakt macht David Wessel von Mashup-Germany.

David Wessel, 29 Jahre alt, ist gebürtiger Kölner mit amerkanischem Reisepass und wohnt in Frankfurt. Nach einem Studium der Medien-Planung, -Entwicklung und -Beratung (kurz MPEB) begann er als als Mediaplaner in der Flugbranche zu arbeiten. Außerdem ist er seit einigen Jahren leidenschaftlicher Produzent von Audio-Mashups, die er unter „Mashup-Germany“ kostenlos im Internet veröffentlicht. Er nimmt dabei die Einzelelemente von bis zu 40 unterschiedlichen Songs um daraus neue, transformative Werke zu erstellen.

Was macht für Dich einen guten Remix aus?

Ein Remix ist in meinen Augen dann gelungen, wenn der Remixer durch die Bearbeitung der Originalinformation im Ergebnis eine Weiterentwicklung und/oder eine originelle Interpretation der selbigen erschaffen hat. Die Bewertung dessen ist natürlich höchst subjektiv, da ein Remix nichts anderes als ein nonverbaler Kommentar zu einer Information ist, dessen Aussage ausschließlich in der Art und Weise der Neuanordnung der Information steckt. Die Ausdrucksmöglichkeiten im klassischen Remix – Veränderung/Bearbeitung einer abgeschlossenen Informationseinheit – sind jedoch beschränkt. Erst durch die Technik des Mashens – Rekombination von Teilelementen mehrerer abgeschlossener Informationseinheiten untereinander -, die für mich die Weiterentwicklung des klassischen Remixes darstellt, erhalte ich die Werkzeuge,  um wie in meinem Fall aus unterschiedlichen musikalischen Informationen/Identitäten eine neue musikalische Identität, die vom Rezipienten auch als solche erkannt wird, entwickeln zu können.

Du schreibst auf Deiner Seite, dass Du kein Geld mit den Remixen verdienst – gleichzeitig kann man Dich aber für Live-Auftritte buchen. Remixt Du dann live oder spielst Du vorher erstellte Remixes von Dir? Und verdienst Du auf diese Weise nicht doch Geld mit Deiner Remixkunst?

Mir wäre es wirklich lieber von „Mashups“ als von „Remixen“ zu sprechen. Konkret:

  1. Ich stelle meine Mashups kostenlos und zur freien Verfügung ins Internet.
  2. Ich nehme kein Geld von Labels, Künsterln, Radiostationen. etc. für die Erstellung von Mashups oder die Verwendung eines bestimmten Interpreten und/oder Songs an.
  3. Meine Webseite ist, trotz sechsstelliger monatlicher Zugriffszahlen und dadurch entsprechend hoher Hostingkosten, werbefrei.
  4. Die Erlöse aus meinem „Merchandise“ Store werden vollständig gespendet (an Vezuthando e.V.)
  5. Ich mixe die von mir vorher erstellten Mashups bei Auftritten live und verändere sie. Ich mixe beispielsweise zusätzliche Gesangsspuren und/oder Effekte hinzu. Zusätzlich setze ich Livedrums ein – das sieht dann so aus:

Ich lege seit Jahren kostenlos im Rahmen der weltweiten BOOTIE-Vereinigung auf. Das ist ein Zusammenschluss von Mashup-DJs und Produzenten rund um den Planeten, die in ihren Ländern jeweils „BOOTIE“ Parties veranstalten. Auf diesen Events werden zu 100% Mashups gespielt und sie sind in der Regel nicht kommerziell (Ausnahme USA). Wir haben beispielweise die letzten vier Jahre in Berlin monatliche „Booties“ veranstaltet. Dafür haben wir eigens einen Verein gegründet und das gesamte Team hat ohne Bezahlung die Party organisiert und umgesetzt. Ich habe außerdem bereits auf Bootie Parties in London, Los Angeles, Sao Paulo, Rio de Janeiro, New York, San Francisco, Boston, usw. gespielt. Für alle anderen Bookings erhalte ich allerdings eine angemessene Gage und das ist auch gut so.

Ein Liveauftritt stellt eine eigene Dienstleistung dar, die nicht nur ausgiebiger Vorbereitung und einer oft langen An- und Abreise bedarf, sondern zusätzlich durch die Zahlung der jeweiligen Veranstalter an die GEMA auch lizenztechnisch
auf sicheren Füssen steht.

Ich freue mich sehr über die enorme Nachfrage nach „Mashup-Germany“ als Live-Act, weil es meine Theorie bestätigt, dass gute Mashups offenbar eigenständige musikalische Identitäten kreieren. Erlebten die Menschen durch meine Mashups keinen künsterlischen Mehrwert, kämen sie sicher nicht seit Jahren so zahlreich und begeistert zu den Auftritten.

Fast alle Deine Remixes kann kann man kostenlos herunterladen – wurdest Du schon einmal abgemahnt deswegen?

Nein, ich wurde bislang nicht abgemahnt. Über meine Webseite kann man mir mitteilen, wenn man als betroffener Urheber mit der Verwendung eines Stückes nicht einverstanden ist. Das ist in den letzten fünf Jahren jedoch nicht ein einziges Mal vorgekommen. Ich betone regelmäßig, dass ich kein Interesse habe gegen die Urheber zu arbeiten und ich kenne bisher auch keinen, der es so empfindet. Dennoch: sollte jemand mit der Verwendung eines Stückes nicht einverstanden sein und teilt er mir dies mit, so würde ich das betreffende Mashup sofort von der Webseite nehmen.

Wenn es ein Recht auf Remix gäbe, was würde sich dadurch für Dich verändern?

Für mich persönlich würde sich, neben der gesellschaftlichen Anerkennung meiner Kunst, nur eine Sache ändern: ich müsste nicht mehr in der permantenen Sorge leben, dass mich meine Liebe zu Mashups eines Tages meine Freiheit und meine Existenz kosten wird. Die wesentliche Frage ist aber nicht, was sich für mich ändern, sondern was sich für uns alle ändern würde. Eine Entkriminalisierung des natürlichen Kommunikationsverhaltens einer signifikanten Bevölkerungsgruppe, wäre die erste zu begrüßende Folge.

Ein Recht auf Remix könnte zudem ein Umdenken und eine Grunderneuerung unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft einleiten. Neue Technologie veränderte stets menschliches Verhalten und die Art und Weise unseres Zusammenlebens. Dies geschieht jedoch inzwischen in einem derart hohen Tempo, dass weder unsere politischen Institutionen, noch wir als Gesellschaft mithalten können. Das erleben wir derzeit bei zahlreichen Themen. Von der Finanz- und Bankenkrise über die Datenschutzproblematiken in sozialen Netzwerken und Suchmaschinen bis hin zum Patentrecht oder der Frage, wie wir Technologie in Bildung und Wissenschaft einsetzen. Oft fehlt der gesellschaftliche Diskurs über diese Themen vollständig oder er findet nur am Rande statt, weil er die Menschen entweder thematisch in seinen technischen Details überfordert oder erst gar keine Sensibilisierung für das Thema vorhanden ist.

Aber sind Remix und Mashups nicht eher  ein Rand- oder Nischenthema?

Wir haben es hier mit dem größten Generationenkonflikt seit der 68er-Bewegung zu tun. Niemals zuvor ist in der Geschichte der Menschheit eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (Digital Natives) aufgrund von technologischer Entwicklung derart anders als der Rest der Bevölkerung (Non-Natives) sozialisiert worden. Um darauf reagieren zu können, bedarf es zunächst einer Einschätzung dieser veränderten Sozialisierung, die auf folgender These basiert: Alles ist ein Remix! Jeder Gedanke und jede Handlung eines Menschen basiert ausschließlich auf dem, was er bislang erfahren hat oder was ihm an genetischer Erinnerung von seinen Vorfahren mitgegeben wurde.

Was bedeutet das für das Verhältnis zwischen Alt und Neu?

Das Neue entsteht ausschließlich durch das Vorhandensein des Alten und der Kombination dessen. Die menschliche Neugierde ist dabei der Motor, der uns stets mit neuen Impulsen und Informationen versorgt, die uns als Werkzeuge und Grundlage für unser Denken und Handeln dienen. Dies erschüttert natürlich die Grundfesten menschlicher Arroganz, der die Annahme zu Grunde liegt, dass der Mensch aus dem Nichts und isoliert von seiner Umwelt geniales und eigenständiges erschaffen kann. Kann er nicht! Zumindest habe ich bislang keinen historischen Beweis für das Gegenteil finden können. Selbst die großen Genies unserer Geschichte, von Einstein über Edison bis Mozart, hätten ihre Leistungen niemals erbringen können, wenn sie sich nicht innerhalb ihres Referenznetzwerkes befänden und dieses auch genutzt hätten. Einsteins „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“ enthält keine einzige Literaturangabe, dafür aber erschreckende Ähnlichkeiten mit dem ein Jahr zuvor veröffentlichtem Werk „Wissenschaft und Hypothese“ des Franzosen Henri Poincaré. Kaum eine Erfindung Thomas Edisons wäre ohne die Ideen eines Nikola Tesla möglich gewesen und Mozart hat erst gar keinen Hehl daraus gemacht, dass er sich von Haydn hat inspirieren lassen. Ich behaupte nicht, dass alle Innovateure in der Geschichte der Menschheit nur kopiert haben. Nein, die wirklich guten Jungs haben kopiert und rekombiniert. Ich möchte damit einfach nur verdeutlichen, dass wir uns von der Ideologie des „Originals“ verabschieden und uns für die Möglichkeiten öffnen sollten, die uns ein offener Ideen- und Wissensaustausch bieten würde.

 



Leonhard Dobusch in Interview
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