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Zur netzpolitischen Dimension von Heino: Covern erlaubt, Remixen verboten

Mit seiner jüngsten Albumveröffentlichung „Mit freundlichen Grüßen“ hat der Schlagersänger Heino einen neuen Rekord für den Verkauf von Musikalben im Internet aufgestellt. Die Besonderheit dieses Albums und wohl hauptausschlaggebend dafür, dass gerade ein Schlagersänger mit Kernzielgruppe 50+ die Download-Charts anführt, ist der Umstand, dass es sich um ein Album voller Coverversionen handelt.

Auf wohlkalkulierte Weise singt Heino auf seiner Platte Lieder von viele Jahre jüngeren KünstlerInnen im Bereich Pop (Sportfreunde Stiller, Nena), Hip-Hop (Fanta 4, Absolute Beginner), Punkrock (Die Ärzte) und Industrial-Rock (Rammstein) nach. Wie sich alleine durch die markante Stimme Heinos dadurch der Charakter der Stücke verändert, ist durchaus hörenswert.

Es soll hier allerdings nicht um die künstlerische Werthaltigkeit von Heinos Cover-Album gehen – die wurde in den Feuilletons schon ausführlich behauptet bzw. bestritten. Auch soll nicht die öffentlichkeitswirksam inszenierte, wohl mehr vermeintliche als tatsächliche Aufregung unter den interpretierten „Rockern“ diskutiert werden (vgl. „Rockerkrieg gegen Heino!“ bzw. „Heinos erfundener Rocker-Krieg„).

Aus netzpolitischer Perspektive ist das interessanteste an Heinos Cover-Album, dass er es ohne größere Probleme veröffentlichen durfte. Mehr noch, Heino durfte das sogar, ohne zu fragen. Und er darf Geld damit verdienen, durch Downloads und CD-Verkäufe genauso wie durch Live-Auftritte. Zwar muss er von seinen diesbezüglichen Einnahmen durchaus beträchtliche Anteile an Komponisten und Autorinnen der Stücke abgeben, diese könnten ihn aber – selbst wenn sie wollten – nicht am Nachsingen, Aufführen und Verkaufen „ihrer“ Werke hindern, sofern sie Mitglied einer Verwertungsgesellschaft sind. Das juristische Konstrukt hinter dieser allgemeinen Karaoke-Erlaubnis sind „Zwangslizenzen“, die von Verwertungsgesellschaften erworben werden können.

Bedingung für Heinos Möglichkeit, Songs auch ohne Zustimmung der Rechteinhaber zu covern, ist jedoch, dass er diese gerade nicht zu stark verändert – abgesehen von jener, durchaus tiefgehenden Änderung, die Heinos Stimme und das neue Einspielen der Musik mit sich bringen. Die Grenzen sind fließend.

Hätte sich Heino stattdessen dazu entschlossen, die unterlegte Musik abzuwandeln oder zum Beispiel bei einigen Stücken nur den Refrain nachzusingen und die Strophen selbst zu texten oder hätte er den Refrain aus einem Song mit Strophen aus einem anderen Song kombiniert, er hätte für jede Veröffentlichung und Verwertung die Zustimmung aller betroffenen Rechteinhaber gebraucht.

Zugespitzt erlaubt unser derzeitiges Urheberrecht also in den allermeisten Fällen „bloßes“ Nachsingen zustimmungslos dank Zwangslizenz, während kreative Fortschöpfung in Form von abgeleiteten, re-kombinierten Werken – kurz: Remix – verboten ist. Mehr noch, auf Grund von Leistungsschutzrechten der Tonträgerhersteller ist auch die Verwendung „kleinster Teile“ – die berüchtigten drei Töne in der erst jüngst wieder bestätigten BGH-Entscheidung Metall-auf-Metall (vgl. „Zwei Takte Leistungsschutzrecht“) – im Rahmen eines Remixes nicht erlaubt, sofern eine durchschnittlich ausgestattete Musikproduzentin die entsprechende Tonfolge selbst einspielen könnte. Dieser Maßstab ist aber in einer Welt, in der alle mit Computer über die Werkzeuge zum Remixen aber immer noch nur die wenigsten über Zugang zu einem Tonstudie verfügen, mit Sicherheit der falsche.

Im Ergebnis versperrt diese Rechtslage vielfach künstlerisch wertvoller und auch beim Publikum beliebter Remixmusik jegliche Möglichkeit legaler Verbreitung. Eines der bekanntesten – und hörenswertesten – Beispiele für illegale Remixkunst stammt von DJ Danger Mouse. Bevor er 2006 gemeinsam mit dem Sänger Cee-Lo Green als Gnarls Barkley mit „Crazy“ auch einen kommerziellen Welthit hatte, veröffentlichte er sein ebenso geniales wie illegales „Grey Album“ – ein Remix aus dem Sprechgesang des „Black Albums“ von Rapper Jay-Z und Samples vom „White Album“ der Beatles. Illegal war das Werk deshalb, weil zwar Jay-Z die Acapellas seines „Black Albums“ bewusst für Remixes zur Verfügung gestellt hatte, die Rechteinhaberin der Beatles-Songs – die Plattenfirma EMI – jedoch die Verwendung auch nur kurzer Samples verbot. Dem künstlerischen Erfolg tat die verhinderte kommerzielle Verwertung keinen Abbruch, wie in der Wikipedia dokumentiert ist:

 „Entertainment Weekly nannte es das ‚beste Album 2004’, der Rolling Stone ‚ein geniales Hip-Hop-Album, das seiner Zeit auf seltsame Weise weit voraus ist’ und der Boston Globe ‚das am kreativsten fesselnde Album des Jahres’.“

Aber nicht nur solch begnadete Kunstschaffende wie DJ Danger Mouse sehen bisweilen keine legale Möglichkeit, um ihrer Kreativität Ausdruck und Öffentlichkeit zu verleihen. Das Internet im Allgemeinen und YouTube im Besonderen sind voll von Beispielen mehr oder weniger kreativer Remixes und Mashups – neuen Werken, geschaffen aus der Rekombination von Bestehendem. Dirk von Gehlen, Leiter “Social Media/Innovation” bei der Süddeutsche Zeitung, hat ein ganzes Buch mit Beispielen derart „kreativen Kopierens“ gefüllt und das bei Suhrkamp erschienene Ergebnis konsequenterweise selbst als „Mashup“ betitelt.

Um wieviel lebendiger und vielfältiger könnte Remixkunst sein, wenn ihr Dank Zwangslizenz auch kommerzielle Verwertungsmöglichkeiten einfacher offen stünden? Wenn Rapperinnen und Rapper nicht beim Sampeln zuerst überlegen müssten, ob sich die Rechte auch werden klären lassen? Noch einmal anders gefragt: wieso darf Heino ungefragt nachsingen, Dj Danger Mouse aber nicht ungefragt remixen? Warum also gibt es nicht ein Recht auf Remix, pauschalvergütet für nicht-kommerzielle Nutzung und zwangslizenziert bei kommerzieller Verwertung?

Auf diese Fragen werden bislang vor allem drei Argumente gegen ein solches Recht auf Remix vorgebracht: (1) das Problem gebe es gar nicht, Rechteklärung sei gar kein Problem; (2) Remix würde einen Eingriff in das natürliche Recht Kunstschaffenden an ihrer Schöpfung darstellen sowie (3) Nazis.

Zu den Punkten im Einzelnen:

  1. No-Problem-Einwand: Für den allergrößten Teil mehr oder weniger kreativer Fortschöpfungen – Alltagskreativität in Facebook und YouTube-Videos, vgl. auch eine diesbezügliche Studie von Stalder u.a. – ist es völlig lebensfremd, das Abklären entsprechender Rechte zu verlangen. Im Gegenteil, schon heute verdienen bei vielen Video-Memes die RechteinhaberInnen der verballhornten, nachgesungenen oder eingetanzten Lieder an Googles Werbeerlösen mit. Aber auch im Bereich professioneller Musikproduktion ist das Klären von Rechten alles andere als einfach. Besonders gut zu beobachten ist das im Hip-Hop, der auf dem Sampling bestehender Werke basiert. Dort ist die Schere im Kopf – also der vorauseilende Verzicht auf Samples – der Normalfall, wie mir ein Hip-Hop-Künstler und Label-Chef versicherte, der nicht zuletzt aus Angst vor Abmahnungen lieber anonym bleiben möchte: er verwende entweder Samples von Werken, deren Urheberrecht schon abgelaufen ist, oder hoffe darauf, nicht erwischt zu werden – was im Erfolgsfall allerdings eher unwahrscheinlich ist.
  2. Naturrechts-Einwand: Was bei analog-einzigartigen Kunstwerken wie Malerei oder Skulpturen noch nachvollziehbar ist, vermag bei Kunstwerken im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit nicht mehr zu überzeugen. Beim Remix handelt es sich immer nur um eine kreative Kopie, das Original wird dadurch nicht beeinträchtigt. Warum eine Urheberin anderen Urhebern verbieten können sollte, auf Basis von Kopien ihres Werkes neue Werke zu schaffen, ist zumindest aus sich selbst heraus – „natürlich“ – nicht einsichtig. Dass sich Bedeutung und „Aura“ eines Werkes durch dessen Rezeption ändern mag, stimmt, ist aber unausweichlich. Bedeutung und Bedeutungszuschreibung lässt sich auch ohne Remix nicht kontrollieren sondern wird im Diskurs mit Publikum, Kritik und im Vergleich mit anderen Werken hergestellt. Hinzu kommt, und auch dafür ist das Heino-Beispiel illustrativ, dass selbst „bloßes“ Covern bisweilen sehr stark in den Charakter eines Werkes eingreift.
  3. Nazi-Keule: Der Einwand, Werke könnten dann auch in neonazistischen Kontexten verwendet werden, wird vor allem in Deutschland und Österreich gegen die Einführung eines allgemeinen Rechts auf Remix vorgebracht. Abgesehen davon, dass das bloßen Abspielen von Liedern bei Neonazi-Veranstaltungen im Falle einer GEMA-Anmeldung auch jetzt nicht verhindert werden kann, lassen sich hierauf drei Punkte entgegnen: Erstens ist die befürchtete Nutzung in neonazistischen Kontexten in der Regel mehr eine hypothetische denn eine tatsächlich praktische Bedrohung. Für den, zweitens, unwahrscheinlichen Ernstfall bleiben jedoch bestehende Verhetzungs- und Wiederbetätigungsverbote von einem Recht auf Remix unberührt. Und wenn, drittens, auch diese nicht helfen sollten, handelt es sich wahrscheinlich um einen Fall, auf den das Voltaire zugeschriebene Zitat von S.G. Tallentyre passt: „Ich missbillige, was du sagst, aber würde bis auf den Tod dein Recht verteidigen, es zu sagen.“

Zusammengefasst besteht die netzpolitische Dimension von Heinos Cover-Album also im Aufzeigen von Widersprüchlichkeiten und Absurditäten des herrschenden Urheberrechts. Nachsingen ist erlaubt, kreative Fortschöpfung in Form von Remix und Mashups sind verboten. Wer Remixkunst dennoch legalisieren möchte, verbringt häufig mehr Zeit mit Rechteklärung als mit eigentlich kreativer Arbeit. Die Einführung eines Rechts auf Remix ist mehr als überfällig und Heinos Cover-Album der Beweis.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich auf netzpolitik.org.



Leonhard Dobusch in Kunst, netzpolitik.org
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